Schwesternbriefe: Ein Zimmer für sich allein

Beim Lesen von Karins Brief aus 1977 und auch später beim Abtippen fiel mir so oft Virginia Woolfs Essay „A Room of One’s Own“ aus 1929 ein, das 1978 erstmalig auf Deutsch erschienen ist. Ich habe dieses Buch irgendwann in den späten Neunzigerjahren gelesen, eines meiner ersten Bücher auf Englisch, ich habe nicht alles verstanden, aber es hat mich nachhaltig beschäftigt.

Noch heute zählt Virginia Woolfs Essay „Ein Zimmer für sich allein“ zu den meistrezipierten Texten der Frauenbewegung und ist immer wieder Thema, zum Beispiel im Blog https://virginias-vision.com/ von Judith Wolfsberger, der Gründerin des Writersstudio in Wien, wo ich auch einige Kurse besucht habe. Und so schließt sich der Kreis: Karin kannte ich schon als Kundin der Seeseiten Buchhandlung in der Donaustadt, wo ich arbeite; dann begegnete ich ihr zufällig wieder bei einem Schreibnachmittag von Ana Znidar, einer Schreibtrainerin des Writersstudio.

Das große Thema in Woolfs Essay ist weibliche Selbstbestimmtheit, und darum geht es auch immer wieder in Karins Brief vom 4.3.1977.

Außerdem ist darin unter anderem die Rede von Professor Arnold Keyserling. Ich muss gestehen, dass ich den Namen zwar wohl schon gehört hatte, aber das war es auch schon. Also habe ich ein bisschen nachgelesen: Arnold Keyserling, 1922 – 2005, war ein deutsch-österreichischer Philosoph und Religionswissenschaftler. Er war Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien und Autor zahlreicher Bücher. Der Standard schreibt in seinem Nachruf: „Das Ergebnis seines Forschens, das auf den systemischen Zusammenhang von Sinnesdaten, Sprache, Zahl und menschlicher Motivation gerichtet war, fand seinen Niederschlag im „Rad“, dem Urbild ganzheitlichen Denkens, welches dem sinnsuchenden Menschen als Werkzeug des eigenen Lebensentwurfs dienen kann.“ Viele Texte von Prof. Keyserling finden sich unter https://schuledesrades.org/e/home/


Handschriftlich steht auf Karins Brief oben vermerkt: (nicht abgeschickt, am 6.3. neu geschrieben). Leider ist der Durchschlag des neu geschriebenen Briefes nicht erhalten geblieben – ich hätte die beiden gerne verglichen. Jedenfalls finde ich diesen Brief aber so dermaßen interessant, dass ich ihn dennoch abgeschrieben habe:


4.3.77
(nicht abgeschickt, am 6.3. neu geschrieben)

Lischen, mein lieber, lieber Schatz!

Zunächst einmal darfst Du nicht böse sein, weil ich neulich so „kurz angebunden“ war. Abgesehen davon, daß unser Eifer, zueinander zu sprechen, nun aus begreiflichen Gründen etwas nachgelassen hat, was letztlich nur zu erwarten war, da wir normal sind, kann es nicht so bleiben, daß wir einander so intensiv jahrelang betreuen, wo wir doch Wert darauf legen, alleinverantwortlich und selbständig zu sein, …

Es bleibt aber das Tor offen, das wir zueinander gefunden haben, nicht wahr, da spielt es dann keine Rolle, in welchem Umfang oder Rhythmus unsere Verständigung vonstatten geht, zumal das Vertrauen und die Zuneigung doch bestehen bleiben.

Ich will Dir also diesmal erzählen, was sich so tut rund um mich, was ich meinen Alltag nenne: Am Montag nachmittags bin ich bei meinem neuen Chef, einem Rechtsanwalt in der Rotenturmstraße, da muß ich ihn jetzt schon unterstützen, weil er nicht bis zum 1. April auf  mich warten möchte, ich aber den Job nicht verlieren will, weil mir’s dort gefällt. (Ich schreibe wohl nach Diktat englische, französische und italienische Briefe, mein Herzchen. Aber das heißt noch nicht, daß ich das alles auch kann, nämlich daß ich diese Sprachen kann. Ich verstehe zuweilen nicht genau, was ich schreibe, kann aber nachher „nachlernen“, denn das interessiert mich natürlich schon. Ich habe gestern erstmalig einen Brief vom Deutschen ins Englische übersetzt und geschrieben, sogar ohne meine Dictionairchen, aber ich habe betont, daß ich das eigentlich nicht zu können vorgegeben habe. Es hat mir nichts geholfen, ich mußte. Und ich tat’s gerne, ohne Risiko, denn ich hatte ja nichts angegeben. Der Endeffekt: ich mußte sinngemäß was ändern, weil ich’s anders nicht zuwege gebracht hätte. Aber es dürfte gegangen sein. Ich weiß nicht mehr, ob er was auszusetzen hatte, denn da ging ich dann heim. Ich werde das am Freitag erfahren, wenn ich wieder hingehe. Jedenfalls bin ich doch glücklich, mein neues Lernen, die Möglichkeit, Erfahrung und Übung zu bekommen, auch noch bezahlt zu kriegen, anders zu lernen ist für mich ja aus finanziellen Gründen nicht leicht möglich, weshalb ich das sehr begrüße …) Damit also geht der Montag drauf, denn vormittags bin ich immer noch beim A. Am Dienstag, da bin ich daheim, da habe ich die Kinder Nachmittag in die und von der Musikschule zu bringen bzw. zu holen, der Rest vergeht mit Einkaufen und dgl., abends bin ich allein, da geht G. zum Fußballtraining, und ich lese, lerne, bügle, räume weg, wasche, manchmal, – viel zu selten schon wieder,- schreib ich was auf, was mir zu diesem Stück einfällt. (Hierzu aber habe ich festgestellt, daß ich bei allem guten Willen nicht zwischendurch schreiben kann, was ernsthaft zu brauchen ist. Ich muß wenigstens 2-3 Wochen Ruhe haben und das Zeug nicht immer hin- und herräumen müssen, einen Platz und Zeit und allein sein damit, das bräuchte ich. Wie’s jetzt schon wieder aussieht, geht nichts Ordentliches weiter. Aber bevor das zu einem echten Kummer wird, will ich mich in Geduld fassen. Es kann sein, daß die Zeit trotzdem recht bald kommt, vielleicht stellt mich der Affe von Chef, den ich jetzt bei A. noch habe, irgendwann frei, was früher bei Ausscheidenden üblich war, dann könnte ich endlich …) Also das war der Dienstag. Am Mittwoch habe ich Dr. Sedlak, den Schulpsychologen, an den Du Dich sicherlich noch erinnern wirst. Und danach die Vorlesung von Prof. Arnold Keyserling, von dem Du auch schon gehört hast. (Dr. Sedlak will eine Art Carnegie-Kurs mit der Mütterrunde machen, d.h. ich müßte das machen, weil er davon gehört hat und sehr neugierig wäre. Ich weiß noch nicht genau, wie ich das machen soll, obwohl ich im Grunde schon dafür wäre. Ich denke aber jetzt schon ein bißchen materialistisch. Ich mache dort gerne mit und fühle mich wohl dort, wenn ich was zu sagen habe bzw. was ich sage, wird recht offen aufgenommen und auch diskutiert, ich bin kein „Außenseiter“, obwohl ich einer bin. Aber ich würde mich wohl sehr bemühen, aus den verhemmten und unsicheren Damen eine „Crew von Carnegiesten“ zu machen, welchen Einsatz dann schließlich keiner zahlt, und ich müßte Zeit aufbringen für die Vorbereitungen zu unseren Treffen, wohingegen ich jetzt selten viel nachdenke, und einfach dort meine Carnegie-Probleme an den Mann bringe. Anderseits wäre es gut für mich, wenn ich selbstlos und ehrlich darüber sinniere, wenn ich Menschen von ihren Hemmungen befreie, wie ich das ja eigentlich auch so zwischendurch immer wieder tue. Ich rede sie einzeln an, wenn ich was bemerke, und sie horchen mir willig und gläubig zu, ich sehe, daß sie merken, ich hab‘ recht und ich will ihnen gut, und sie bemühen sich auch, mitzudenken … Wir „wachsen“ ohnehin derart zusammen, daß das eine Lockerung mit sich bringt, die ich freudig registrierte. Die logische Folge wäre, daß ich mir wünsche, sie alle so ungehemmt als möglich zu machen, so gut ich kann. Also kommt Dr. Sedlaks Vorschlag meinem Wunsch entgegen. Nur meinem Wunsch nach Geld nicht, meinem Wunsch nach bezahlter „freiberuflicher Tätigkeit“ nicht. Und siehst Du, wie ich so mir selbst erklärt habe, wie schäbig nun mein Materialismus ist, bin ich plötzlich sehr dafür, diese Chance zu ergreifen, um die Menschen zu sich selbst zu führen, oder vielleicht eben nur ein bißchen näher zu sich selbst, zu befreien von so manchen Störungen, die nicht sein müßten, die nur eingebildet sind, anerzogen sind, unbegründet sind, – kurzum, ich möchte gerne, und ich werde auch. Schon beginne ich nachzudenken …

Das zweite am Mittwoch ist Keyserling. Ich schick‘ Dir, geliebte Sister, ein Blatt, auf dem Du seine Themen findest, die er alle in seinen Vorträgen über Philosophie untergebracht hat. Etwas derart Umfassendes habe ich noch nie erlebt. – Was allerdings nichts besagt, weil ich noch nie eine philosophische Vorlesung gehört habe. – Aber hier finde ich genau das, was ich immer schon wollte, und Du wirst sehen, daß er wirklich großartig, in großzügiger Art und Weise nämlich, vorträgt. Ich werde Dir, wenn Du wieder einmal bei mir bist, das Heft zeigen, in das ich das Stenogramm übertrage. Ist zwar lückenhaft, weil mein Steno nicht sehr geübt war, es wird aber erstens besser und zweitens ersieht man das Wesentliche auch so daraus. Keyserling sagt praktisch mit all seinen Worten immer nur: „Du kannst so oder so oder so … suchen, aber Du mußt suchen!“ Und er sagt: „Der wirklich Suchende findet auch!“ Und immer wieder, wenn er „man“ sagt, ist es ein Vorschlag für einen selbst, es doch zu versuchen … Was solch ein Mensch für die Menschheit tut, ist nicht zu ermessen!!! Ich bin sehr glücklich dort.)

Am Donnerstag war bisher Italienisch. Nun wurde es auf Montag verlegt, und ich konnte aufgrunddessen schon zwei Stunden nicht besuchen. Ich weiß nicht, ob das mit Dr. W. so weitergeht, ob ich mir’s bald werde richten können, daß ich um 7 h im Kurs sein kann, aber ich werde noch sehen. Schlimmstenfalls müßte ich bis April „schwänzen“. Der Donnerstag bleibt dann Italienisch-Abend, wenn ich das in der Stunde gelernte wiederhole und mir einpräge, denn selten gelingt es mir sonst irgendwann, wenn ich’s nicht gleich mache.

Am Freitag bin ich nachmittags wieder in der Rotenturmstraße, und damit ist die Woche um. Der Samstag vergeht für’s Haus, für die Ordnung drinnen, evtl. für Gäste, die ich lieber samstags als sonntags lade, denn ich muß mich schließlich für die neue Woche irgendwann erholen auch. Na, und es kommt auch vor, daß ich mit den Kindern was tu, lernen oder spielen, oder plaudern, zwischendurch sogar unter der Woche. Und wenn ich nicht Zeit habe für sie, so sage ich so oft ich dran denke, daß ich sie liebe, daß sie lieb und gut und tüchtig sind, usw., damit sie mich aushalten, auch wenn sie nicht viel von mir haben. Nur, ich sehe doch, daß sie mit mir im Grunde zufrieden sind.

Da fällt mir was ein: Am letzten Mittwoch wollte ich zu Dr. S. und zur Vorlesung gehen. Da „sponn“ G., ich wäre nie daheim, und ich sollte doch nicht sooo gerne fortgehen usw. Also gut, sagte ich, ich werde anrufen, daß ich nicht komme. Aber ich sehe das nicht ein, denn Du gehst auch zu Deinem Training, seit Jahren, ohne daß ich … Und mittags, als ich mir das überlegt hatte, fand ich, es wäre unverantwortlich und unnötig, zumindest den Dr. S. abzusagen, dazu wäre kein Grund, und ich dürfte nicht G.s willkürlichen Wünschen nachgeben, um ihn nicht zu ähnlichen Spinnereien für die Zukunft zu ermutigen. Also sagte ich zu Mittag den lieben Kinderchen, ich müßte Ordnung machen, damit Vati keinen Grund hätte, mich im Haus einzusperren. Und ich beginn in der Küche. Was tat da R.? Mein lieber, guter Bub schälte Kartoffeln, legte Handtücher zusammen, räumte im Schlafzimmer alles, alles weg (einiges davon finde ich bis heute nicht), nur damit ich dorthin gehen könne, wo er weiß, daß ich will und muß, daß ich dort nichts Böses vorhabe, sondern im Gegenteil, nur dazulerne. Als mein R. war schnell und eifrig und er sagte, ich sollte nur gehen, ich hätte dasselbe Recht wie Vati … Nun war ich einerseits gerührt, anderseits sah ich, daß ich zum erstenmal entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit die Kinder mit dem Problem überhaupt konfrontiert hatte. Und ich sah auch, daß sie sich eindeutig auf meine Seite stellten, alle beide. (Gg. Unterstützt mich in solchen Fällen nur moralisch, aber immerhin auch entschieden …) Und schnell war ich sanft und renkte ein, beschloß, nur Dr. S., wo ich erwartet werde, zu sehen, und halt die Keyserling-Vorlesung einmal auszulassen. Und ich sagte den Kinderchen, die sollten lieb sein zu Vati, damit er mich nicht so schmerzlich vermißt, sie sollten ihn fragen, ob er mit ihnen was spielt. (Wobei ich fürchtete, er würfe schroff ablehnen wie meistens.) Und also fuhr ich ab und war früher als sonst wieder da, und ich sah Vati und Kinderchen „Mensch-ärgere-Dich-nicht“-spielend in der Küche. In Deinem Brief hast Du Bezug genommen auf meinen Traum, wo R. Wäsche aufhängte. Mir fiel das jetzt wieder ein. Aber sag, Elisabeth, ist das schon Verletzung oder Vernachlässigung meiner Pflichten? Ich denke nicht so sehr, irgendwann muß ich doch was tun dürfen, nicht wahr? Na, also. Ab und zu dürfen sie mich auch vertreten, die Schätzchen, zumal ich’s nicht immer ihnen überlasse, Ordnung zu machen, bzw. es nicht immer einen Grund für Günther abgibt, mich daheim anzubinden …

Von G. gibt es erfreulicherweise zu berichten, daß er in der vergangenen Woche zum erstenmal seit Jahren in der Schule ordentlich war, d.h., daß ich keine Klage bezüglich seines Benehmens hörte. Er dürfte nun doch reifer werden, zu welcher Annahme er uns übrigens wirklich öfter Anlaß gibt in jüngster Zeit. Es scheint so, als würde er doch … Wir sind augenblicklich sehr zufrieden mit ihm und uns … Auch lernen die beiden jetzt ziemlich allein und ich weise sie immer auf ihre Verantwortung hin und darauf, daß sie nicht studieren dürfen, wenn sie immer mich brauchen, so daß ich nun nicht einmal als Ausrede fungiere, wenn was nicht klappt. Und sie tun wirklich was. Ich bin also auch in ds. Hinsicht sehr froh. G. muß derzeit viel Klavier üben, weil er Ende März wieder einmal was zum Besten geben soll, was noch nicht sitzt. Da muß ich schon noch dabeisein, das ist noch nicht soweit, daß er „eigenverantwortlich übt“ …

Lischen, ich schicke Dir heute die Kopien eines Artikels aus dem „Reader’s Digest“, über das Leben nach dem Tod. Ich finde das sehr interessant, vor allem aber finde ich den Optimismus, den man daraus beziehen kann, herrlich positiv, denn das vor allem tut uns not, daß wir gläubig vertrauen und Freude haben und diese in uns nähren. Zu diesem Zwecke also sei Dir dies gewidmet, mein Herzchen. Wieder heißt es, die Liebe ist das Einzige, was zählt. Daneben auch noch das Lernen, wobei ich nicht – noch nicht – klar dazu stehe, obwohl ich durchaus für’s lebenslängliche Lernen bin, von Natur aus, denke ich. Aber wie wir „drüben“ damit umgehen, ist mir ein Rätsel. ES sei denn, daß dies eben zu unserer diesseitigen Aufgabe gehört, was ja denkbar und logisch wäre … Wie dem immer sei: ich will lernen mein Leben lang. Und ich will lieben … (URBI ET ORBI!) Damit meine ich umfassend, die ganze Welt, deren Teil ich bin …

Etwas Wunderbares ist sicherlich Meditation. Ich bemühe mich, diese regelmäßig (das ist wichtig für den „Erfolg“) durchzuführen, zeitweise gelingt mir das, leider nicht immer. Ich kann z.B. morgens nur nach der Uhr Zeit für mich finden, was allein schon störend auf meine Konzentration wirkt. Es gab eine Zeit, da wurde ich buchstäblich geweckt, ehe der Wecker läutete und zwar etwa um 5 Uhr früh. Und einige Zeit lang stand ich da auf und versuchte tatsächlich zu meditieren. Aber mir war meist zu kalt, ich konnte nicht alle Gedanken verjagen, ich hatte Schmerzen in allen Gelenken, entweder während der Meditation oder nachher, als ich aufstehen wollte. Kurz, ich war dann faul, unwillig, ungehorsam usw. Jetzt weckt er mich nicht mehr, mein guter Geist, oder schon, aber nur etwa ¼ Stunde vor dem Wecker, was an sich zur Demonstration meines guten Willens auch genügen würde, da man auch 10 Minuten täglich gut meditieren kann, wenn das nur regelmäßig ist, aber ich sehe selten auf, wie ich zu meiner Schande gestehen muß. Und indem ich das schreibe, versuche ich zu beschließen, ab sofort wieder besser zu werden, konsequenter, ernsthafter, bemühter … Er würde mich, wenn ich nur wollte, sicher ab sofort wieder zeitlich genug wecken, ich weiß es …!

Aber man muß bedenken, daß ich oft spät schlafen gehe und oft „im Streß“ bin und so scheint mir summa summarum, ich dürfte derzeit eine eher passive Phase durchmachen, wiewohl ich dadurch gefühlsmäßig nicht beeinträchtigt bin. Na, ich werde sehen. – Und ich will mich wieder am Riemen reißen. Ich mache auch noch Yoga-Übungen, die ich von P. abgeschaut habe. Aber auch das nicht mit soviel Regelmäßigkeit, wie es nötig wäre. Ich bin noch nicht so richtig gepackt davon, auch finde ich meine Bewegungen, d.h. die Anstrengung, mit der ich so manches mache, störend, sodaß ich noch keinerlei Wirkung spüre. Den Kopfstand machst Du, Schwester? Wer hat Dir das gelernt? Ich mach‘ ihn auch. An einem schönen Donnerstag macht P. ihn mir vor und forderte mich auf, ihm nachzutun. Ich sagte, das würde ich niemals können. Und am Sonntag früh konnte ich ihn, und R. war mein Zeuge. Nun muß ich schaffen, dabei so zu denken, wie P. es mich gelehrt hat: Daß das geistige Zentrum, das dem Himmel näher und verbunden ist, sich mit der Erde vermählt … Ich weiß noch viel zuwenig, Schätzchen!

Ich werde jetzt schließen, mein liebes Herz, denn ich muß noch Deinem lieben Manne schreiben, will’s zumindest versuchen, ihn zu versöhnen mit mir. Denn wenn er mich auch nicht verstanden hat, so darf er mir doch nicht gram sein, nicht wahr? Um das klarzustellen, muß ich ihn nochmals „angehen“ …!

Hab‘ Dich furchtbar lieb, Du!


Zu Karins richtig langem Brief (vier eng getippte Seiten) gäbe es einerseits so viel zu sagen, andererseits ist der Brief selber so aussagekräftig und intensiv … ich würde mich freuen, eure Gedanken dazu zu erfahren, als Kommentar hier auf dem Blog oder auch gerne als Mail.


Quellen zum zeithistorischen Kontext:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Zimmer_für_sich_allein
https://de.wikipedia.org/wiki/Arnold_Keyserling
https://schuledesrades.org/e/home/
https://www.derstandard.at/story/2167675/religionsphilosoph-arnold-keyserling-gestorben

2 Gedanken zu “Schwesternbriefe: Ein Zimmer für sich allein

  1. Liebe Silvia,

    unglaublich – die Themen als wäre der Brief gestern geschrieben worden – ich höre genau solche Szenen von meinen Kolleginnen, die nicht mal 30 sind …. Yoga und Italienisch Kurs finde ich wiederum ebenfalls so fortschrittlich – ich kannte in den 80ern nicht einmal jemanden, der Yoga macht 😊in den 90ern? Puh ….

    Und immer wieder die Diskrepanz, sich nicht genügend um die Kinder zu kümmern, es wird immer und ewig das Frauen-Dilemma schlechthin sein … Aber so gesehen für die 70er sehr modern, weil sich damals Kinder selbst beschäftigt haben und ich nicht sicher bin, wie sehr damals in diese Richtung reflektiert wurde …

    Zusammenfassend ist das erstaunlichste für mich, dass der Brief mit 2024 datiert werden könnte ohne unglaubwürdig zu sein.

    Dickes Bussi – heute wäre ich wieder SOOOOOOOOOOOOOOO gerne zu euch auf Topfen-Zitronen guglhupf vorbei gekommen, aber ich sitze gerade im Lit Salon …. – und passe nicht auf, sondern lese den herrlichen Schwesternbrief 😊

    Bis bald, Silvia

    • Liebe Silvia,
      danke für deinen Kommentar, dem ich wieder einmal nur vollinhaltlich zustimmen kann. Mir ging es beim Lesen ähnlich und ich fühlte mich außerdem auch sehr an die Zeit erinnert, als meine Kinder jünger waren.
      Ich hoffe, du hast trotz der Ablenkung vom Lit Salon profitiert 🙂
      Alles Liebe
      Silvia

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