Schwesternbriefe: Man soll nicht versuchen, einem Elefanten das Fliegen beizubringen.

Mit den Siebzigerjahren sprechen wir von einer Zeit, in der der Mann per Gesetz das Oberhaupt der Familie war. Wollte eine Frau arbeiten, musste der Arbeitsvertrag von ihrem Ehemann unterschrieben werden. Das wurde erst durch die Familienrechtsreform 1976 geändert.

Auch eine Kontoeröffnung ging nur mit Unterschrift des Ehemannes. Deshalb wurde oft das Gehalt der Frau auf das Konto ihres Mannes ausgezahlt. Wenigstens das ist mittlerweile kein Thema mehr.

Aus den Siebzigerjahren gibt es etwa zwanzig Briefe. Ich habe nun einen von Elisabeth vom 28.2.1977 herausgezupft und abgetippt. Weil er sprachlich so schön ist! Weil so viel zwischen den Zeilen steht. Und weil er – sicherlich unbewusst – ein Geschlechterbild darstellt, das wohl ganz typisch für die Zeit ist.

Ich wusste, dass bis Mitte der Siebzigerjahre verheiratete Frauen quasi entmündigt waren. Und unverheiratete Frauen von Haus aus wenig Rechte hatten. Überrascht hat mich, als ich nun gelesen habe, dass bereits 1925 die sozialdemokratischen Abgeordneten Adelheid Popp und Gabriele Proft einen Initiativantrag auf Reform des Familienrechtes im Sinne der „Gleichstellung der Geschlechter“ im Parlament eingebracht hatten. Denn die österreichische Verfassung aus dem Jahr 1920 lege die Gleichheit der Geschlechter im öffentlichen Recht fest und müsse somit auch für das Familienrecht gelten. Es hat dann eh nur noch fünfzig Jahre gedauert, bis diese Forderung gesetzlich verankert wurde. In den Köpfen mancher Männer (und auch einiger Frauen) ist sie aber gefühlt teilweise bis heute, wieder fast fünfzig Jahre später, noch nicht angekommen.

Die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) stammten aus dem Jahr 1811 und lauteten:
§ 91
Der Mann ist das Haupt der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten; es liegt ihm aber auch die Verbindlichkeit ob, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen, und sie in allen Vorfällen zu vertreten.
§ 92
Die Gattin erhält den Namen des Mannes, und genießt die Rechte seines Standes. Sie ist verbunden, dem Manne in seinen Wohnsitz zu folgen, in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beyzustehen, und so weit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen Maßregeln sowohl selbst zu befolgen, als befolgen zu machen.


Womit wieder einmal mehr klar wäre, dass das Private politisch ist und das Politische privat. Privat sind zwar auch die Schwesternbriefe, aber es wurde mir erlaubt, sie zu veröffentlichen.

Montagabend, 28.2.1977

Geliebtes Schwesterlein!

Muß ich Dir sagen, wie sehr ich Dich genieße? Du hältst mich auf geradem Pfad, wenn ich müde werde, Du sagst mir glaubhaft, daß es richtig ist, nach den Sternen zu greifen, wenn ich zweifeln möchte – Du meine wahrhaft verschwisterte Schwester!

Nein, nie glaube ich, daß Du mir etwas vormachst!! Aber ich versuche, wachsam und kritisch zu bleiben und die Möglichkeit nicht zu vergessen, daß Du Dir selber was vormachst. Nicht wahr? Das versuchen wir ja alle immer wieder, – auch wenn wir es absolut nicht wissen.

Ich zweifle bestimmt nicht an Dir, nicht an dem, den Du mir so beschreibst, daß ich ihn lieben muß. – Wenn mir dennoch das Herz ab und zu weh tut, ich mich sorge, ich Angst habe daß es über Deine Kräfte geht – das sei mir gestattet. Ja?

Weißt du, wenn ich Deine Briefe lese, die voll Kraft und Zuversicht sind im edelsten Sinne, dann bin ich stark überzeugt, daß Dich der Heilige Geist ganz ordentlich beim Schopf hat. Aber zwischendurch – man versteht ja am anderen nur, was man in sich selber hat – denk ich, Du wirst bald überfordert sein, vielleicht übertreibst Du – überdrehst Du doch –

Ich selber muß die Flamme – die Sehnsucht und Erfüllung gleichzeitig ist – manchmal schon künstlich schüren; sie lodert nicht mehr von selber – „die Helden sind müde“, kampfesmüd. Ich lese und merk mir’s nicht; ich begeistere mich und vergeß rasch, woran; ich suche Seine Nähe und merke, wie mich das immer mehr Kraft kostet; ich habe mir öfter eingebildet, gewisse „Stufen“ erreicht zu haben, und mußte merken, daß ich nicht nur nicht darauf aufbauen kann, sondern daß ich sie kaum halten kann, ja oft genug wieder zurückrutsche und von vorne beginnen muß. Nichts kann man halten, nichts mit Sicherheit besitzen. Hier gibt es keine Erleichterung durch Routine, es wird immer schwieriger. Und ich werde müde, vergeßlich, zerstreut in einem Maße, daß ich für meine Gesundheit bange. Und angesichts dieser Erfahrung sage ich mir dann: Vielleicht ist das doch alles nur Spunn; vielleicht haben doch die „Normalen“ recht; vielleicht ist doch „überschnappen“ die Strafe dafür, wenn man weiter sehen will, als einem Menschen zusteht. –

Normal – da wären wir bei meinem Süßen. Du hast leider einen Brief an uns beide adressiert, obwohl die Hälfte nur für mich bestimmt war. Er war allein daheim (da noch im Krankenstand) und las leider beides. Das war nicht gut. Es stand da einiges. Er ist geschockt, sieht (besser gesagt: fürchtet) Parallelen, wittert Alarmstufe 3 für seine Ehe, mißtraut jedem Atemzug, den ich ohne Genehmigung tue –. Es wird relativ viel gestritten, und da werden Elfi, Du und ich in einen Topf geworfen: hysterisch, überdreht, maßlos, ihre Männer ruinierend — Da hörst Du’s, mein Schatz! (Bessere Dich! Ich versuch’s!) Ich glaub, Du schreibst ihm besser nicht. Man soll nicht versuchen, einem Elefanten das Fliegen beizubringen.

Tschüs für heute! Busserln!

Deine Elisabeth


Quellen zum zeithistorischen Kontext:

https://frauenmachengeschichte.at/familienrechtsreform-der-70er-jahre/

https://www.oegb.at/themen/gleichstellung/geschlechtergerechtigkeit/als-die-gleichberechtigung-die-gottgewollte-ordnung-zerstoerte

2 Gedanken zu “Schwesternbriefe: Man soll nicht versuchen, einem Elefanten das Fliegen beizubringen.

  1. Liebe Silvia,

    oje, jetzt finde ich es so schade, dass dieser Brief nicht in der Bewerbung fürs Stipendium war … das mit dem Elefanten wäre ein tolles Bild gewesen – aber umso besser, wenn jemand/jefrau in deinen Blog reinliest, bevor er Daumen hoch oder runter hält 😊

    Bussi, Silvia

    • Danke für deine Worte, wie lieb von dir. Mir gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf, aber ich lese und schreibe ja nach und nach und daher kannte ich den Brief vorher auch noch nicht.
      Bussi und liebe Grüße von einer Silvia zur anderen

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