
Ich mag die Sprache in diesen Schwesterbriefen so gern. Schade, dass sich das Briefeschreiben ziemlich aufgehört hat. Und auch wenn die Themen in den Briefen der beiden oft tiefgründig und teilweise schwer sind, mit Ausdrücken und Sprache spielen sowohl Karin als auch Elisabeth immer wieder.
In dem Brief von Karin an Elisabeth vom Oktober 1977 schreibt sie an einer Stelle „So höre denn, liebe Schwester, was ich fand: …“ Was für eine wunderbare Formulierung.
Völlig aus dem Kontext gerissen habe ich mich gefragt, was denn 1977 wohl im Radio zu hören war – ich bin davon überzeugt, dass diese Songs die meisten von uns heute noch kennen: In den österreichischen Charts sind „Living Next Door to Alice“ und „Lay Back in the Arms of Someone“ von Smokie oder „Daddy Cool“ von Boney M. an der Spitze. Und „Dancing Queen“ wurde ABBAs einziger Nummer-Eins-Hit in den USA.
Der Tanzfilm „Saturday Night Fever“ mit John Travolta (der dafür sogar für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert wurde) stammt ebenfalls aus 1977. Ich habe den Film irgendwann in den 1980igern auf Video gesehen; mir hat zwar die Musik gefallen (Bee Gees), aber ich habe mich extrem unwohl gefühlt beim Schauen, weil die Handlung so dermaßen frauenverachtend ist (inklusive Vergewaltigungsszene). Vor zwei Jahren haben wir uns den Film noch einmal angeschaut und nicht nur ich war wieder entsetzt darüber. Dieses Jahr im Sommer bringen die Seefestspiele Mörbisch „Saturday Night Fever“ als Musical auf die Bühne und ich bin schon gespannt auf die Kritiken. https://www.seefestspiele-moerbisch.at/programm/saturday-night-fever-das-musical/infos-zum-stueck
Heuer ebenfalls wieder ein Thema ist Elvis Presley, der am 8.1.1935 geboren wurde und somit 90 geworden wäre. Elvis ist am 16.8.1977 mit nur 42 Jahren in Memphis, Tennessee, infolge von Polypragmasie (Einnahme zu vieler Medikamente) gestorben. Mit Songs wie „Jailhouse Rock“ oder „Can’t Help Falling In Love With You“ wird Elvis, The King, wohl unvergesslich bleiben.
Genauso wie die Popmusik aus 1977 die Jahrzehnte überdauert hat, haben es auch die Schwesternbriefe. Musik berührt uns und manchmal beeinflusst sie uns auch. Wie sehr uns Menschen in unserer Umgebung immer wieder – ob bewusst oder unbewusst – beeinflussen, tritt in diesem Brief von Karin an Elisabeth vom 12.+17.10.1977 zutage:
12.10.1977
Mein lieber Schatz Elisabeth!
Du darfst nicht denken, ich möchte Dir aufdringlich sein. Aber ich komme Dir heute deshalb wieder mit demselben Problem, weil’s mich noch beschäftigt, bzw. weil ich glaube Dir sagen zu müssen, was Du damit zu tun hast, denn das wird Dich vielleicht freuen. So höre denn, liebe Schwester, was ich fand:
Dadurch, daß Du mir immer wieder mit G. „ankommst“, dadurch, daß Du immer wieder meinst, daß das mit G. doch kein Irrtum gewesen sein kann usw., dadurch, daß Du so beharrlich auf seiner Seite standest, wenngleich Du auch all meine Freude und mein Glück darüber, daß es jemanden gibt, der mich versteht, annimmt, begreift und lehrt, durchaus verstanden und geteilt hast, durch Deine Treue zu G. also hast Du seit dem Sommer in mir fortgewirkt. Ich weiß jetzt, daß Du es gewesen sein mußt, ich erinnere mich an die so oft in mir wiederholten Worte „… und trotzdem: G.“. Und ich habe mich, ohne das recht mitzukriegen, unwillkürlich wieder sehr um ihn bemüht, sehr um mich bemüht, damit ich ihm gerecht werden kann. Jetzt, da ich seit längerer Zeit P. gar nicht mehr begehre, (obgleich allein seine Gegenwart mich wärmt, nährt, beruhigt, beglückt …!) frage ich mich, ob nicht Deine Worte mit zur Bekräftigung dieses im Sommer schon registrierten Zustandes beigetragen haben, weil ich sie so oft wieder hörte seither.
So scheint mir, – da ich den Zustand mit G., der, sehe ich von meinen früheren hohen Erwartungen ab, zwar lau, aber gut und ruhig ist, mit viel innerem Gleichgewicht und Freude über sein Wieder-Auftauen (was mein Verantwortungsgefühl immens entlastet!) miterlebe, – daß die nun eingetretene Phase des Friedens und der fast kindlichen Zärtlichkeit zwischen uns zur Erholung aller Beteiligten beitragen wird – und es schon tut.
Ich habe überhaupt keine Probleme mit ihm, er läßt mich Englisch lernen und Philosophie studieren, ich habe sogar das Bedürfnis, ihm dafür mit schon lange nicht geübter Regelmäßigkeit die Schuhe zu putzen, wir schlafen viel miteinander, und wenn wir nicht „schlafen“, schlafen wir jedenfalls oft sogar Hand in Hand ein …
Liebling! Ist das eine Idylle nach Deinem Wunschtraum?
Ich schwöre Dir, ich werd‘ sie mutwillig nicht zerstören! G. hat übrigens jetzt schon eingewilligt, daß ich ab dem nächsten Schuljahr in die Maturaschule gehe. Herz, was willst Du mehr?
Ich habe P. schon länger nicht persönlich gesehen, und er hat mich heute gebeten, doch abends ein bißchen ihn zu besuchen, da er heute auch in die Mittwoch-Vorlesung nicht kommt. Ich werde zwar nicht G. zuliebe P. kränken, der nicht verstünde, wieso ich plötzlich „mutwillig“ fernbleibe, zumal ich natürlich gerne komme und auch weiß, daß sich dabei nichts abspielen wird, was G. eigentlich nicht wissen dürfte.
Dabei habe ich ein reines Gewissen, denn ich führe nur ein Gespräch mit einem guten Freund, das ist ebenso mein Recht, wie wenn ich mit einer Freundin oder mit Dir spräche – nur versteht das G. nicht oder er kann’s halt nicht glauben … Ich weiß das aber, habe ein gutes Gewissen, bin zu meiner Zeit daheim, strahle ihn, den guten Mann, an, weil ich mich freue, ihn wiederzusehen – und es ist alles bestens. Er leidet sicher nicht. Adieu! Auf morgen.
17.10.1977
„Auf morgen“ war zwar – ungewollt – ein „Schmäh“, aber immerhin bin ich wieder da. Und zwar dankend für Deine lieben Zeilen auf der Karte.
Nun also erstens bleibt das, was hier oben steht, aufrecht. Aufgehört hab‘ ich u.a. auch deshalb, weil ich diese wohl empfundene Möglichkeit einer Doppelzüngigkeit „bei Tageslicht“ nachprüfen wollte. Dies ist nun geschehen und ich muß das bestätigen: Es ist wahrhaftig richtig, daß ich zwar G. nicht alles sage, aber anderseits auch, daß ich ihn in diesem gewissen Sinne nicht hintergehe und daß ich P. – zumindest in seiner Gegenwart – überhaupt nicht mehr begehre. (Natürlich kann sich alles plötzlich ändern, aber derzeit ist das eben wirklich so.) …
Quellen zum zeithistorischen Kontext:
https://austriancharts.at/no1_single70.asp
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Nummer-eins-Hits_in_Österreich_(1977)









